Amberg meets friends
Corona ist und bleibt ein Arschloch!
Eine kleine psychosadistische Drecksau, die Menschen nicht nur körperlich, sondern auch seelisch geiselt, ohne sie dazu infizieren zu müssen. Heute musste ich es am eigenen Leib erfahren, dass dem so ist.
Oft verdrängt man belastende Dinge, um sich vor Traurigkeit zu schützen. Das ist wohl ein menschlicher Schutzmechanismus für die Seele. Man lenkt sich ab und sucht sich eine Ersatzbeschäftigung, mit der eine Ablenkung hoffentlich funktioniert. Am besten sollte es irgendetwas sinnvolles sein, was aus dem produktiven Aktionismus resultiert.
So ist letztlich die Idee von „Amberg meets Friends“ entstanden und auch umgesetzt worden. Das würde ich als ganz kleinen positiven Aspekt meines Versuchs einer Krisebewältigung werten wollen. Was allerdings in keinster Weise die negativen Auswirkungen aufwiegen kann.
Das wurde mir bewusst, als vor dem Konzert im Vogelsberger Hof, 2 Kinder zur Bühne gelaufen kamen, auf der ich gerade meine Gitarre stimmte. Beide riefen: „Petter! … Petter!“ und hatten ein kindlich, freudiges Leuchten in den Augen. Leider das einzige, was von ihrem Gesicht, aufgrund des Mund- Nasenschutzes, zu sehen war. Im Schlepptau hatten sie ihre Mutter, meine Schwester, die statt Petter!, „Überraschung!“ rief. Alle drei, samt meinem Schwager und dessen Eltern, hatte ich wegen der Pandemie eine gefühlte Ewigkeit nicht mehr gesehen.
Das war zuviel für meine Bubbermaschine und meinen Kopf. Ich war mit der Situation überfordert. Solange nicht gesehen und jetzt…? Kein Umarmen? Kein sich herzen? Kein Küsschen auf die Wange? Warum ist meine Frau ausgerechnet heute nicht mitgekommen? Sie hätte sich doch auch riesig gefreut, alle mal wiederzusehen. Warum kann die Familie heute nicht ganz komplett sein und somit unsere Mutter und ihr Lebensgefährte nicht auch an der überraschenden Zusammenkunft teilnehmen? Die beiden habe ich genauso lange nicht mehr gesehen.
Allerdings muss ich an der Stelle auch das Virus und auch unsere Regierung ein wenig in Schutz nehmen. Beide verbieten mir derzeit nicht mehr meine Familie zu besuchen. Die strengen Kontaktbeschränkungen galten letztlich nur bis Ende Mai und vielleicht hätte man es sich trauen können/sollen, über den Sommer hinweg, seine Lieben im familiären Umfeld wieder einmal zu treffen. Ohne übertriebene Angst sich gegenseitig zu infizieren, aber unter Einhaltung der Hygiene-Regeln, mit waltender Vernunft. Aber wie es halt so ist: Vor dem unsichtbaren Unbekannten und dessen Gefährlichkeit hat man meist Respekt und je bedrohlicher es wird, desto eher wird aus Respekt Angst. Ich glaube, es ist für mich zukünftig an der Zeit, in diesem Zusammenhang wieder etwas mutiger zu werden. Hätte ich diesen Entschluss schon früher gefasst, wäre mir auch diese Überwältigung der Gefühle erspart geblieben. Sei es drum: Fehler von Gestern, korrigiert man in der Gegenwart und der nächsten Zukunft.
Nun aber weiter zum Konzert!
Jetzt musste ich erst einmal das erste Set hinter mich bringen. Irgendwie musste ich wieder die Gefühle in den Griff bekommen, die mir immer wieder einen Kloß in den Hals drückten und die Augen feucht werden ließen.
Ein Sänger kann einen solchen Kloß im Hals, während des Konzerts, nicht wirklich brauchen. Er liegt förmlich auf den Stimmbändern und versaut jeglichen Ansatz von Intonation. Wenn sich denn überhaupt ein akustischer Luftstrom neben dem Kloß vorbeizwängen kann. In Abhängigkeit davon, wie emotional ein Lied war, was wir gerade spielten, schien das Ding größer und größer zu werden, je öfter ich zu meiner Familie im Publikum blickte.
Da es Emotionen der Rührung und Freude waren, die mich schlagartig befallen hatten und nicht Gefühle wie Trauer oder gar Wut, konnte ich dann doch sehr gut damit klarkommen oder sie sogar ein stückweit genießen. Je mehr sich abzeichnete, dass wir einen wundervollen Nachmittag, mit den gerade mal 35 Gästen verbringen würden, taten Adrenalin, Endorphin, Serotonin und Phenethylamin auch endlich wieder das, wozu sie ein Musiker während eines Konzertes am ehesten braucht. (Woher ich weiß, wie die Dinger heißen? Ich weiß es gar nicht! Aber Google!)
Diese kleinen Scheißerchen hat man viel lieber in sich, als dieses COVID19 Dings oder auch nur den allgegenwärtigen, penetranten Gedanken daran! Solche Botenstoffe helfen dabei Emotionen zu transportieren. Sie lassen dich das vermitteln, was jeder Konzertbesucher von dir sehen und hören will: Die Freude für Menschen zu spielen und zu singen und die Leidenschaft für deine(n) Beruf(ung).
Jeder der Anwesenden hat engagiert an diesem Tag beim Gemeinschaftsprojekt: „Toller Sonntag-Nachmittag“ mitgewirkt.
Wir haben uns gegenseitig abgeholt. Wir vier Musiker auf der Bühne das Publikum und das Publikum uns. Irgendwann war es einfach da und hat sich bei allen breit gemacht. Dieses magische Gefühl, was einen wunderschönen Moment in toller Gesellschaft ausmacht.
Neudeutsch sagt man: Da waren wieder extrem viele gute „Vibes“ im Saal. Fröhliche und glückliche Gesichter. Emotional berührte Menschen und im Verhältnis zur Anzahl der Gäste, viele Smartphones, die als Foto- und Videokamera aber auch als Feuerzeugersatz genutzt wurden. Was im Verhältnis zur Größe des Publikums auch extrem gut ausfiel war das dankbare Klatschen nach den Liedern und zum Ende des Konzerts. Alles in Allem: „KLASSE STATT MASSE!“ Genau das Richtige in Hinblick auf die kritische Gesamtsituation.
Crainfeld, wir haben extrem gerne für Euch musiziert. Wie pflege ich zu sagen: „Es war uns ein Fest!“ und fünf Dinge möchte ich nun noch unbedingt gerne loswerden:
1.
Danke Dieter und Ruta Sinsel. Ihr habt meinen Projekten in euren Locations schon immer die Chance gegeben sich vor Publikum präsentieren zu dürfen, auch wenn sie gerade erst ins Leben gerufen wurden und noch keinen wirklich großen Bekanntheitsgrad hatten. (Klingt ein wenig nach einer „Oscar-Dankesrede :D)
2.
Danke Dietmar Wächtler, an der Pedal-Steel Guitar, für dein grandioses Debüt bei „Amberg Meets Friends“. Du bist der größte musikalische Unter-die-Haut-Schleicher von allen Instrumentalisten die ich kenne. Keinen Ton zu wenig! Keinen Ton zu viel! Und die gespielten Töne immer an genau den Stellen, wo sie noch zwischen anderen Instrumenten hineinpassen oder hingehören. Das ist ganz großes Kino eines tollen Musikers, mit einem begnadetem Gehör, Können und Verständnis für banddienliches Musizieren.
3.
Und das ist das Wichtigste: Im Frühjahr 2021 sehen und hören wir uns hoffentlich alle wieder, im Vogelsberger Hof in Crainfeld.
4.
CORONA DU BIST UND BLEIBST EIN ARSCHLOCH!
Aber du kriegst uns nicht unter! Solche Tage zeigen immer wieder auf, dass wir Menschen in einer Gemeinschaft fast alles schaffen können, wenn wir uns sozial unter einander verhalten, aufeinander achtgeben und notwendige, für alle geltenden Regeln einhalten. Wenn wir das alle tun, sind wir vermutlich in der „neuen Realität“ angekommen. Die uns dann aber auch wieder, wenn auch andere, dennoch wundervolle Augenblicke bescheren kann.
5.
Und last but not least: Auch wenn es zunehmend schwerer wird, die aufgestellten Regeln und Bestimmungen zu akzeptieren, werde ich von meinem bisherigen Weg nicht abweichen. Ich werde nicht beginnen, Menschen die uns bisher gut durch die Krise geführt haben zu unkonstruktiv zu kritisieren. Ich werde weiterhin das Virus weder verharmlosen, geschweige denn verleugnen. Ich werde mich nicht aus egoistischem Antrieb über aufgestellte, allgemeingültige Regeln hinwegsetzen.
Ich werde nach wie vor alles versuchen und dafür tun, um meine Mitmenschen, meine Liebsten und auch mich vor einer Infektion zu schützen. Ich werde weiter alle Menschen in meinem Umfeld, mit einer ähnlichen Haltung dazu motivieren durchzuhalten und versuchen auch andere von dieser Einstellung zu überzeugen. Und ich werde weiter mit verantwortungsbewussten Veranstaltern und Kollegen zusammenarbeiten, um solche kleinen Lichtblicke wie dieses Konzert von „Amberg meets Friends“ in die Welt zu senden. Es muss nicht immer ein grelles Flutlicht sein! Viele Kerzen bringen auch Licht ins Dunkel. Manchmal sogar ein weitaus angenehmeres.
Etwas, was mir die Pandemie auch gelehrt hat: Ich muss nicht mit zehntausenden in einem Stadion oder mit hunderten auf der Straße oder in Clubs feiern. Auch 35 Menschen machen mich glücklich, wenn es die richtigen sind!
Bleibt gesund!
Euer Andre